Lethargie

So geht es nicht weiter!! Wenn ich nicht gerade irgendwelche Familienangehörigen oder Freund als Krankentaxi durch die Gegend chauffiere oder anderweitig eingespannt werde, sitze ich auf dem Sofa und wachse fest.

Jeden Tag nehme ich mir vor, dies und das zu tun, aufzuräumen, putzen, einkaufen…. und dann wird es dunkel und ich habe nix getan. Ich stehe auf, lange nachdem eigentlich schon der Wecker klingelte, verkrümel mich mit meinem Kaffee auf dem Sofa unter der Decke, starte das Noti und das war’s!!

Wenn es ein guter Tag ist schaffe ich es immerhin den Abwasch zu erledigen oder die Waschmaschine zu starten. Heute habe ich sogar geschafft einige Sachen zu erledigen. Schublade flicken, Schrank ausrichten, Bilder aufhängen, Uhr aufhängen…. alles in allem vielleicht eine Stunde Arbeit. Wenn überhaupt.

Das bin nicht ich!!

Und es geht mir nicht gut damit. Ich bin erschöpft vom Nixtun, könnte ewig schlafen und wenn jemand anruft hab ich fast Schiss, dass mich jemand besuchen kommen möchte.

Ich muss ganz dringend die Kurve kriegen!!! Immerhin schreib ich fleißig meine Bewerbungen. Dazu brauch ich ja auch nichts weiter tun als am Noti zu tippen. Alles was darüber hinaus geht Pustekuchen.

Wenn ich jetzt nicht die Kurve kriege muss ich mir was einfallen lassen. Zumal es bestimmt nicht besser wird wenn ich mit mir unzufrieden bin.

Gute Nachrichten kommen derzeit auch keine. Nichtmal vom Makler, obwohl es Interessenten gibt und jetzt alles nur noch an der Bank hängt.

Wenn das nächste Woche nicht besser wird, dann werde ich mir professionelle Hilfe suchen müssen. So funktioniert es jedenfalls nicht. Ich geh ja nicht mal mehr zu Sport.

Wer wollte mir neulich noch mit Stahlkappenschuhen in den Hintern treten? Steht das Angebot noch?

Erinnerungen

Die Nacht senkt sich über die Stadt. Was machst Du gerade? Sitzt Du auf einer Wolke während wir uns das Hirn zermartern?

Während ich am Sonntag mit Deinem Vater und Deiner Schwester in Deiner Wohnung war kamen viele Erinnerungen hoch. Die beiden waren so lieb. Dein Vater hat mich hundert Mal gedrückt und mir ein Erinnerungsstück nach dem anderen ins Auto getragen. Hätte ich das Auto nicht zu gemacht hätte er noch mehr reingelegt. Ich musste ihm versprechen, dass ich ihn besuchen werde.

Ich hatte Dich damals schon ein paar Monate regelmäßig in unserer Stammkneipe gesehen. Du warst sehr ruhig und zurückhaltend, saßt immer auf dem gleichen Platz an der Theke mit direktem Blick auf die Eingangstür. Du rührtest Dich den ganzen Abend nicht von dem Platz weg. Und jeder der etwas von Dir wollte ging selbstverständlich zu Dir.

Vier Monate später lernten wir uns zufällig kennen. Eigentlich wollte ich an dem Tag meinen Geburtstag feiern. Aber ein Bekannter meines damaligen Freundes feierte am gleichen Tag. Also verschob ich meine Feier und alle gingen zu dem Bekannten. Er hatte das komplette Wohnzimmer mit Matratzen ausgelegt und alle lümmelten sich irgendwo hin. Irgendwann kamen wir ins Gespräch. Er war der 28.10.1988, ich war 17 Jahre und einen Tag alt. Du fandest das sehr lustig und wolltest es nicht glauben, bis ich Dir meinen Perso zeigte.

Zu späterer Stunde war mein Freund betrunken und ich wurde müde. Ich lag auf einer der Matratzen und döste vor mich hin, auf der einen Seite saß mein Freund und unterhielt sich, auf der anderen Seite lagst Du neben mir und streicheltest mein Gesicht. Ich begreife heute noch nicht, warum mein Freund Dir keins auf die Finger gab.

Du hattest versprochen eine Woche später auf meine Party zu kommen…  und hast Dich nicht getraut. Dabei hatte ich Dir sogar drei Tage nach unserem Kennenlernen zum Geburtstag gratuliert. Später hab ich Dich dafür ordentlich rund gemacht. Es dauerte noch fast ein Jahr, in dem wir regelmäßig Musikcassetten tauschten, alleine im Wagen meines Freundes Musik hörten, bis alles klar war.

Eigentlich war ich immer noch mit meinem Freund zusammen. Aber der hatte nix besseres zu tun als drei Wochen alleine nach Portugal zu fahren. Wir gingen zusammen aus. Im Dorf war ein Fest, wir waren auf dem Rummel, später als es abkühlte legtest Du mir Deine Jacke um die Schulter. Später erfuhren wir, dass die Eltern meines damaligen Freundes das gesehen hatten und ein paar Tage später ebenfalls nach Portugal flogen. In dem Moment war alles klar, wir gehörten zusammen.

Nach einem Jahr und einer kurzen Trennung kam die gemeinsame Wohnung. Es gab Höhen und Tiefen, wie in jeder Partnerschaft. Aber wir haben nie den Respekt voreinander verloren. Auch nicht, als ich erwachsen geworden war und nach 5 Jahren die Trennung wollte. Anfangs wolltest Du es nicht akzeptieren, aber Du hattest keine andere Wahl. Nachdem wir beide alleine in andere Wohnungen gezogen waren, konnte ich trotzdem jederzeit auf Deine Hilfe zählen.

Dann lerntest Du eine andere kennen, wir verloren uns aus den Augen. Aber regelmäßig fanden wir uns irgendwo im Internet und telefonierten. Zwölf Jahre später standen wir uns zum ersten Mal wieder gegenüber. Du hattest Dich von Deiner Freundin getrennt, ich war gerade dabei meine Trennung vorzubereiten.

Wir konnten reden als wäre kein Tag vergangen seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Waren genauso vertraut miteinander wie wir es immer waren. Haben uns geholfen, viel geredet und eine kleine Weile hätte es vielleicht wieder mehr werden können. Aber irgendwie wollten wir es beide nicht. Wir hatten uns zu unterschiedlich weiterentwickelt. So wurde es eine wunderbare vertraute Freundschaft mit tiefen Gesprächen und gegenseitiger Hilfe.

Nun halte ich all die Dinge in Händen, die Du damals von mir bekommen hast. Das silberne Armband mit dem eingravierten Namen. Mein erstes Geburtstagsgeschenk an Dich als wir ein Paar waren. Die Kette mit dem Skorpion, die Kette mit dem Namensanhänger, die Kette mit Deinem Namen die ich damals trug. Die Briefe die ich Dir geschrieben habe als wir kurzeitig getrennt waren. Ich wußte gar nicht, dass wir soviel geschrieben haben. Alles hattest Du aufbewahrt, genau wie ich, und alles lag obenauf in Deinem Schrank. Warum nur?

Es gab so viele schöne Momente in unserem Leben. Damals wie heute. Letztes Jahr Berlin, die Weltreise die Du mir so lange versprochen hattest und zu der Du mit mir nach Arnheim in den Zoo gefahren warst.  Und wir hatten so viele Pläne. Du wolltest mir Paris zeigen und London. Wir wollten so viel entdecken. Nochmal nach Arnheim in den Zoo, Silvester feiern, wie die letzten Jahre. Wir wollten nach Amsterdam, nach Wien… Du wolltest nochmal nach Amerika

Ich hoffe Du schaust tatsächlich von irgendwo auf uns herunter und es geht Dir gut!!!

Habt Dank

Es ist mal wieder an der Zeit danke zu sagen. Danke an reale Freunde, die sofort da waren als sie erfahren haben, was passiert ist. Die sofort in der Tür standen um mir eine Schulter zum Ausheulen zu geben, die mich in den Arm genommen haben, die regelmäßig gefragt haben, ob alles in Ordnung ist, ob ich etwas oder sie brauche.

Virtuelle Freunde, die da waren, die zugehört haben, die tröstende Worte geschrieben haben, ein Ohr angeboten haben, Mut zugesprochen haben.

Danke Euch allen!! Ohne Euch wäre die letzte Woche viel viel schwerer zu ertragen gewesen!

Wenn alle die, die sich angeboten hatten, mich zur Beisetzung zu begleiten mitgekommen wären oder alle die, die in Gedanken an meiner Seite waren, in der Kirche gewesen wären, wäre sie wohl aus allen Nähten geplatzt und die Strackholter hätten Bauklötze gestaunt, was da wohl los ist.

Danke!!!!!

Beisetzung

Das Beerdigungen grundsätzlich nicht wirklich schön sind ist wohl klar.  Aber diese war noch weniger schön. Natürlich ist so eine Beisetzung immer schwierig. Vor allem bei den Umständen.

Dazu kam richtiges Beerdigungswetter mit viel Regen und Wind. Eine gruselig kalte Kirche…

Der erste wirklich schwere Weg war nach vorne zum Sarg. Ich hatte ein Gebinde aus Lilien anfertigen lassen und da vom Bestattungsinstiut keiner am Eingang stand habe ich das Gebinde selber vorne am Sarg niedergelegt. Himmel hatte ich einen Klumpen im Hals. Während der Trauerfeier (das ist ein toootal blödes Wort) ging es eigentlich relativ gut.

Aber der Pastor war irgendwie unterste Kanone. Eigentlich erwarte ich von einem Kirchenmann bei einer Beisetzung Trost für die Familie. Vor allem, da es dem Vater meines verstorbenen Freundes wirklich schlecht ging. Den Schwestern natürlich auch.

Statt Trost zu spenden schien dieser Pastor aber immer wieder Salz in die Wunde zu streuen. Er betonte immer wieder „stehen wir vor dem Sarg von…“  und letztendlich war er definitiv viel zu sachlich. Es war offensichtlich, dass er durchaus über Informationen verfügte, aus denen er eine schöne Predigt hätte basteln können.

In der Kirche waren erschreckend wenig Leute. Zwar waren ein paar von seinen Fotofreunden anwesend und natürlich die Familie, aber irgendwie hatte ich dort mehr erwartet.

Die Beisetzung selber fand nur im engsten Familienkreis statt. Genau genommen war außer der Familie nur ich mit am Grab. Allerdings hatte ich mich sehr abseits gehalten. Aber ich musste dieses Procedere erleben. Um zu realisieren was passiert ist. Und dass es tatsächlich so ist. Dass er nicht mehr am Leben ist und Abschied nehmen.

Wirklich real ist es noch immer nicht. Aber ich denke das wird kommen je häufiger ich sein Grab besuchen werde. Der erste Besuch wird wohl schon in dieser Woche erfolgen.

Illusionen

Wenn ein Mensch stirbt, vor allem wenn er aus eigenem Willen aus dem Leben scheidet, dann stehen im Raum unzählige Warum. Viele Dinge sind zu klären. Und die Angehörigen versuchen verzweifelt, herauszufinden, was diesen Menschen zu diesem Schritt bewogen hat.

Zweifellos scheidet niemand, der sich völliger geistiger Gesundheit erfreut, freiwillig aus dem Leben. Und für mich steht fest, dass mein liebster Freund zumindest von Zeit zu Zeit depressive Züge hatte. Aber er war eigentlich auch so selbstreflektiert, dass er das für sich erkannt und etwas dagegen getan hat.

Nun versucht die Familie sein Leben, oder das was er davon hinterlassen hat, zu ordnen und fällt dabei von einer Ohnmacht in die nächste. Alle Papiere sind pingeligst geordnet. Sie passen nur nicht zu dem, was er uns allen in den vergangenen Jahren erzählt hatte.

In den letzten Jahren hat er offenbar eine Illusion geschaffen. Zwar ohne Dinge direkt zu behaupten, aber doch, indem er Eindrücke erweckt hat, die den Tatsachen teilweise nicht einmal nahe komme.

Aber warum?

Dachte er, er wäre ein schlechterer Mensch wenn er er selbst gewesen wäre?? Wie anstregend muss es sein, so eine Illusion dauerhaft aufrecht zu erhalten. Warum hat er an Ende anscheinend bewußt geschwindelt? Und warum hatte er nicht den Mut um Hilfe zu bitten.

Natürlich wäre seine Familie und vielleicht auch ich anfangs enttäuscht und wütend gewesen. Mit Sicherheit hätte ich ihm an den Kopf geknallt, was der Scheiß soll…. und trotzdem hätte ich ihm jede Hilfe gewährt, die mir möglich gewesen wäre. Und ein Neuanfang wäre mit Sicherheit möglich gewesen. Es wäre ein schwerer Weg gewesen. Ein sehr schwerer…. und dafür fehlte offenbar die Kraft.

Wie hat meine liebste J. gesagt: Es war für ihn einfacher zu ertragen den kurzen Moment des Erhängens zu erleben als das Leben zu ertragen.

Für mich unvorstellbar. Aber ein schöner Trost!! Irgendwie! Sofern Trost überhaupt möglich ist.

Wenn hier jemand liest, der vielleicht in einer ähnlichen Situation steckt… nehmt Euren Mut zusammen und wendet Euch an die Person, der Ihr am meisten vertraut. Der Satz fängt ganz einfach an: Ich brauch Deine Hilfe, ich hab Mist gebaut….. Nach diesen 8 Worten habt Ihr das schlimmste überstanden. Und im besten Fall wird Euch am Ende des Gespräches jemand in den Arm nehmen und Euch sagen, dass alles gut wird!!

Irgendwann in dieser oder der nächsten Woche werde ich zusammen mit seiner Schwester in seiner Wohnung sein. Schauen ob wir Dinge klären können die sie nicht weiß, ich aber wissen könnte. Und vielleicht das spurlos verschwundene Notebook finden. In der Hoffnung, dass vielleicht darin ein paar letzte Worte der Erklärung zu finden sind. Auch wenn diese Hoffnung stündlich schwindet.